Das VGG - Alles bleibt anders….
von Jochen Schmidt-Hambrock
Seit Jahren werde ich nervös, wenn mal wieder jemand das Urheberrecht reformieren will. Menschen, deren alleinige urheberrechtliche Kompetenz das Ziehen von Musik aus dem Internet ist, posaunen ungefragt ihre „Meinung“ in die Öffentlichkeit. Das Resultat sind GEMA Mitgliederversammlungen unter Polizeischutz, Urheberbeschimpfungen und Politiker, die ihre Modernität mit der Abschaffung aller Schutzfristen beweisen wollen. Wir - die Komponisten, Schriftsteller und Filmschaffenden - blickten in den Abgrund.
Jetzt sind wir glücklicherweise einen Schritt weiter … zurück. Schon lange war die Stimmung nicht mehr so Pro-Urheber wie jetzt. Die Reform des Urheberrechtes ist im vollen Gang - und wir Autoren werden gehört. Politiker von den Grünen bis zur CDU betonen die Notwendigkeit eines starken gesetzlichen Rahmens. So der EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft und Gesellschaft Günther Oettinger: „Wenn wir es nicht schaffen, dass ein Urheber in der digitalen Welt von seiner Arbeit leben kann, dann wird die Kultur unserer Enkel in 40 Jahren aus Katzenvideos und Udo Jürgens bestehen!“
In diesem Umfeld verabschiedete die Europäische Union Richtlinien zur kollektiven Rechtewahrnehmung. Daraus erstellte das Justizministerium einen Referentenentwurf zum VerwertungsGesellschaftenGesetz (VGG), also zur Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht. Bis zum 14. August 2015 hatten Verwertungsgesellschaften, Berufsverbände, der Deutsche Kulturrat und unsere „Vertragspartner“ BitKom, etc. Zeit, eine Stellungnahme abzugeben. Unser Input war ausdrücklich gewünscht. Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz verschickte einen Fragebogen, dessen letzte Frage lautete: „Welche sonstigen Änderungsvorschläge im Kontext der kollektiven Rechtewahrnehmung sollten aus Ihrer Sicht aufgegriffen werden?“
Bereits am 11.11. 2015 entstand aus dem Referentenentwurf der „Regierungsentwurf eines VG-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes“. Schon dessen allererster Satz stimmt optimistisch: „Das System der kollektiven Wahrnehmung von Urheberrechten und verwandten Schutzrechten in der Bundesrepublik Deutschland hat sich grundsätzlich bewährt:“ Dieser Entwurf befindet sich gerade im parlamentarischen Prozess und wird am 10. April 2016 geltendes Recht. Das bisherige Urheberrechtswahrnehmungsgesetz (UrhWahrnG) wird dann durch das neue VGG ersetzt. Vorher jedoch gilt das „Erste Peter Struck’sche Gesetz: "Kein Gesetz kommt so aus dem Parlament heraus, wie es eingebracht worden ist.“ Was also im April auf uns zukommt? „Schau mer moi, do seng mer’s scho.“ hat ein berühmter Bayer gesagt.
Wir haben dann neun Monate Zeit, das geltende Recht in unsere GEMA Satzung und den Verteilungsplan einzubauen. Das soll auf der GEMA Mitgliederversammlung am 26. und 27. April in Berlin geschehen. Diese Umsetzung ist ein beinahe formaler Prozeß, … was soviel heisst wie: Wenn wir den Änderungen nicht zustimmen, dann haben wir eine nicht legale Satzung.
Das wäre … für eine Institution … wie die GEMA … eher schlecht.
Wenn wir das im April nicht schaffen, werden wir binnen neun Monaten eine außerordentliche Mitgliederversammlung abhalten müssen. Das produziert Kosten und Ärger. Ändern wird sich dadurch nichts.
Was genau kommt jetzt also auf uns zu? Und warum?
Alle Verwertungsgesellschaften in Europa plus der Schweiz stecken in dieser nationalen Umsetzung der EU-Richtlinie. Wenn alles fertig ist, haben wir in ganz Europa einheitliche gesetzliche Bedingungen. Das brauchen wir auch, zu groß ist die Gefahr, dass ein schlauer Google in Kroatien eine Firma gründet, die uns Autoren EU-weit die Rechte verramscht.
Ich persönlich bin ich sehr erleichtert, dass es nur vier Jahre nach dem „Sommer der Piraten“ einen Entwurf gibt, bei dem das Wort „Verwertungsgesellschaft“ schon im Namen steht. Wichtige Prinzipien wie Abschlusszwang und Tarifaufstellungspflicht und GEMA-Vermutung sind nach wie vor Gesetz. Zusätzlich wird im VGG das Verfahren zur Ermittlung der Vergütung für Geräte und Speichermedien geregelt. Die im Jahr 2008 etablierte Prozedur zur Privatkopie war ein elendes Gezerre. Wir mussten jahrelang auf unser Geld warten. Tatsächlich ist das Wort „Privatkopie“ für Abgeordnete ein Alarmsignal. Viele fühlen sich berufen, die armen „User“ vor den bösen Urhebern zu schützen. Es kann passieren, dass ein solches Thema die Diskussion im Parlament dominiert.
Ein Teil des Regierungsentwurfes regelt die „gebietsübergreifende Vergabe von Onlinerechten an Musikwerken“. Damit ist ein gesetzlicher Rahmen etabliert, mit dem unsere GEMA arbeiten kann. Er legt sogar fest, daß Nutzungsmeldungen in einer akzeptablen Form angeliefert werden müssen. Tonnenschwere Papierberge der Computerunternehmen mit Nutzungsmeldungen über bakteriengroße Lizenzbeträge sind damit Vergangenheit. Internationale Kooperationen wie z.B. das ICE Projekt der GEMA mit STIM (Schweden) und PRS (England) stehen weiterhin auf einer soliden gesetzlichen Grundlage.
Alles scheint also prima zu sein. … ?
Leider gibt es einige Kröten zu schlucken. Die Lobbyisten haben nicht geschlafen und unsere Seite hatte alle Hände voll zu tun, die schlimmsten „Ideen“ zu verhindern. So stand im ersten Entwurf noch eine freiwillige Verpflichtung für die Verwendung von Geldern zu kulturellen und sozialen Zwecken. Bei uns ist das der erklärte Wille der Mitglieder und Bestandteil der Satzung. Das hätte aber auch bedeutet, dass jede zukünftige Verwertungsgesellschaft gegenüber der GEMA vom Start weg einen Wettbewerbsvorteil hätte. Erst eine direkte Intervention unserer GEMA Verwaltung bei Justizminister Heiko Maas verwandelte diese Kann- in eine Soll-Bestimmung. Andernfalls hätte das das Ende unseres Wertungsverfahrens und der Sozialkasse bedeutet.
Bei anderen Vorhaben ist das leider nicht gelungen. Das mag daran liegen, dass es einige der europäischen Verwertungsgesellschaften … salopp ausgedrückt … ganz schön haben krachen lassen. Ein politische Wille zu mehr Aufsicht, Transparenz und einer Stärkung der Mitglieder ist zu erkennen. So sollen die Mitgliederversammlung in Zukunft Mitspracherecht bei der Bestellung des Wirtschaftsprüfers haben und mitreden können bei der Anlagestrategie der Gelder. Wie das konkret aussehen soll, wird die Praxis zeigen - was ich kaum erwarten kann sind die „brandheissen Aktientips der Jazzkomponisten“.
Ein anderes Vorhaben ist die Offenlegung der GEMA-Einkünfte der Aufsichtsratsmitglieder. Wozu das gut sein soll, erschließt sich mir persönlich nicht. Mein Einkommen schwankt analog zum Erfolg oder Misserfolg meiner Musik und ist völlig unabhängig von meiner Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied. Problematisch ist die Offenlegung des Einkommens erst recht für die Verlegerkollegen: Müssen die Verlage ihr Aufkommen oder die Aufsichtsräte ihr Einkommen offenlegen? Ihre Geschäftsgeheimnisse? Oder nur wir Autoren? Stand der Diskussion sind Einkommensstufen, … was meines Erachtens auch nicht hilfreich ist. Lande ich in der Einkommensstufe 50.000 - 100.000 Euro, wird mich jeder sofort an der oberen Grenze annehmen. Werden die Abstufungen feiner, kann man sein Einkommen auch gleich ganz offenlegen. Ich befürchte sehr, dass diese Regelung angesehene Kollegen von der Arbeit im Aufsichtsrat abschrecken wird. Sowohl ein geringer als auch ein hoher Verdienst ist …. irgendwie peinlich, … wenn alle das sehen.
Transparenz ist das Ziel auch bei der Regelung, die Leistungen an den Vorstand bekannt zu machen und durch die Mitgliederversammlung bestimmen zu können. Ferner sollen die Betriebs- und Finanzierungskosten nach Rechtskategorie aufgeschlüsselt werden, ebenso deren Abzüge. All dies wird Inhalt eines jährlich zu erstellenden Transparenzberichts. Das sieht nach zusätzlichem Aufwand und mehr Bürokratie aus, … Wenn allerdings unser GEMA Vorstand ein Autokrat ist, seine nächsten Verwandten den Aufsichtsrat bilden und er den Wirtschaftsprüfungsbericht von seine Katze schreiben lässt, … dann wird uns das VGG retten.
Ein weiteres … Ding … ist die Reform der Abstimmungsmöglichkeiten der Mitglieder in der Versammlung. Bisher konnte nur abstimmen, wer anwesend war. Das Gesetz fordert eine Vertretungsmöglichkeit. Jedes ordentliche Mitglied kann in Zukunft Stimmen auf sich übertragen lassen. Auch das war in der ersten Fassung schlimm: JEDER konnte Stimmen auf sich übertragen lassen - auch Anwälte und Steuerberater. Derzeitiger Stand der Diskussion sind 5 oder 10 Vertretungen auf jedes ordentliche Mitglied der eigenen Kurie. Zusätzlich dazu wird es die Möglichkeit der Briefwahl geben. Sobald es technisch geht, sollen die Teilnahme an der Mitgliederversammlung, auch Abstimmungen und Wahlen elektronisch live möglich sein.
Um’s mal zu untertreiben: Kein Tagesordnungspunkt wird die GEMA radikaler verändern!
Jeder weiss, wie offen und frei auf unseren Mitgliederversammlungen diskutiert wird. Dass sich eine Mehrheit im Verlauf der Debatte zwei, dreimal dreht, dass Ergebnisse knapp ausfallen und Meinungen sich erst im Verlauf der Veranstaltung bilden - das zeichnet uns alle aus. Wenn nun gut organisierte Fraktionen ihre Mehrheiten zementieren, dann wird es das nicht mehr geben.
Ein SPD Politiker begründete mir gegenüber diesen Punkt: Man wolle die GEMA Mitglieder vor den „bösen Funktionären“ schützen, indem man den Zwang zur Anwesenheit auf der MV abschafft. Tatsächlich bewirkt man m.E. das Gegenteil. Wenn ich als einfaches Mitglied sehe, wie alle um mich herum mit 10 Stimmen abstimmen, alle Punkte bereits im Vorfeld abgesprochen wurden und außerdem die Briefwähler schon alles klar gemacht haben, … … dann werde ich mir die Reise nach Berlin oder München beim nächsten Mal sparen.
Das sieht der Regierungsentwurf dann merkwürdigerweise wieder positiv. Mich persönlich hat es sehr überrascht, wie in der Beschlussvorlage präzise durchgerechnet wird, dass durch eine elektronische Abstimmung 150 Mitglieder nicht mehr zur Mitgliederversammlung anreisen und dadurch 150 x 80 = 12.000.- Euro Hotelkosten gespart würden. Wobei, … ein Hotel für 80.- Euro? In München?
Übrigens gibt es in Europa bereits Verwertungsgesellschaften mit einer solchen Versammlungsordnung. Deren Treffen sind dominiert von Verbänden und besitzen nur noch rituellen Charakter. Die elektronische Teilnahme und Abstimmung sind nach allen Expertenmeinungen auf absehbare Zeit technisch unmöglich. Sogar die selbsternannten Fachleute der Piratenpartei mussten ein derartiges Vorhaben aufgeben. Das juristische Risiko, dass jemand die Beschlüsse der Mitgliederversammlung aufgrund einer wie auch immer behaupteten technischen Störung anfechten lässt, können wir uns nicht leisten. Das VGG hat hier einen echten Mangel, da es uns nicht von unangemessenen Klagen schützt. Selbst das Aktienrecht hat einen derartigen Vorbehalt. Davon einmal abgesehen möchte ich unter Kollegen frei sprechen können. Bei einer Videoaufzeichnung müssten wir alle bedeutend vorsichtiger sein.
Ein erst mal recht harmlos daher kommender Punkt im VGG ist die „Pflicht zu gemeinsamen Gesamtverträgen“. Konkret bedeutet das den Zwang zu einem gemeinsamen Tarif der verschiedenen Verwertungsgesellschaften für den Fall, dass ein Werk Ansprüche mehrerer Gesellschaften aufweist - also für den Normalfall. Diese müssen sich erst untereinander einigen, bevor sie mit dem Nutzer verhandeln dürfen. Dabei werden sich die Verwertungsgesellschaft gegeneinander ausspielen lassen. Unsere etablierten GEMA Tarife sind nicht mehr durchsetzungsfähig, wenn noch Leistungsschutzrechte, „Kleine Kneipen-Rechte“ oder die VG Wort mitreden müssen. Bis so ein gemeinsamer Tarif durchverhandelt ist, …. sind ein paar Jahre vergangen. Und der ist mit Sicherheit niedriger als der GEMA-Satz.
Negativ ist auch die geforderte Anwendung des Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG). Ich als Komponist kann nicht allzu qualifiziert über Bilanzrecht schreiben, … dass es um eine neue steuerliche Behandlung der Pensionsrückstellungen für die Angestellten der GEMA geht, und dass es uns einige Millionen kosten wird, … das habe ich verstanden.
Ein weiterer vom VGG geforderter Punkt ist die Kündbarkeit des GEMA-Berechtigungsvertrages innerhalb von 6 Monaten. Für mich als Filmkomponisten ist das durchaus von Vorteil - falls Hollywood anruft und Spielberg meine Musik will. Sonst …. eher nicht.
Die Bedingungen für vergütungsfreie Lizenzen wurden von den GEMA Juristen bereits auf der letzten Mitgliederversammlung vorgestellt. Diese enthalten strenge Bindungen an die nicht kommerzielle Nutzung des Werkes. Wird die Auswertung irgendwann kommerziell, wechselt die Lizenz ins normale Inkassoverfahren. Also, … wenn’s kein Geld gibt … gibt es kein Geld, … und sonst schon. Das ist ein gewaltiger Vorteil gegenüber der GEMA-Konkurrenz Creative Commons, die nur die „einmal kostenlos - immer kostenlos“ Option bietet.
Die Umsetzung des VGG in unsere Satzung und den Verteilungsplan verursacht bei unseren GEMA-Juristen einen massiven Arbeitsaufwand. Noch dazu kommt dieses Jahr die absolut notwendige redaktionelle Überarbeitung der GEMA Satzung. Es herrscht darin mittlerweile ein Grad der Unübersichtlichkeit, bei dem wichtige Punkte zum Teil in der Fußnote der Fußnote der Fußnote … der Fußnote auftauchen. Mit jedem Antrag zur Satzung wird es schlimmer, jetzt endlich wird ein klarer Schnitt geschaffen. Auch Justizminister Maas - in der Lektüre verschachtelter Texte mit Sicherheit geschult - spricht von „Überkomplexität, die letztlich Unsicherheit schafft.“
Alle Artikel des VGG müssen meines Wissens erst noch in die „alte“ Satzung eingepflegt werden, sie ist noch geltendes Recht. Zusätzlich muss derselbe Punkt in der neuen Fassung beschlossen werden. Die Tagesordnung war, bzw. ist eine Menge Arbeit für die Verwaltung, jetzt dürfen … müssen die Mitglieder ran. Aber wie hat das vor kurzen mal jemand gesagt? „Wir schaffen das.“
PS: Dieses Juwel hätte ich beinahe vergessen: Auf Seite 133 der Anmerkungen des Regierungsentwurfes: „Die DPMAVwKostV wird nunmehr mit ihrer amtlichen Kurzbezeichnung „DPMA-Verwaltungskostenverordnung“ zitiert.“