Streaming - ein ernüchternder Überblick
von Micki Meuser
Die Zukunft des Musikkonsums, die Rettung der Tonträgerbranche, das Ende der illegalen Downloads - nur drei von vielen Erwartungen an das Musikformat Streaming. Keine Frage, Streaming ist das neue coole Ding ...erzählt uns zumindest die Presse. Allerdings kommen immer noch über 70 % der Einnahmen des Tonträgermarktes in Deutschland aus dem Verkauf der physischen Medien, CD, Vinyl und DVD. (siehe Tabelle1)
Jede Woche gibt es neue jubelnde (meist Tonträgerfirmen) und desaströse (meist Autoren und Künstler) Meldungen zum Thema. Zum Zeitpunkt des Erscheinens dieser Ausgabe der „Informationen“ kann Vieles schon wieder anders sein, können Firmen vom Markt verschwunden sein, oder das nächste Ding am Horizont stehen. Dieser Artikel ist also eine Momentaufnahme, Stand Ende Februar 2016. (Während ich das schreibe kommt zum Beispiel die Nachricht, dass Google – Alphabet gerade versucht Spotify zu übernehmen)
Technisch liegt Streaming zwischen Radio und Download. Der "Musikgenuss" erfolgt zeitgemäss digital, meist als mp3, allerdings bleibt die Musik auf den Servern des Anbieters. Der Hörer "streamt" die Musik oder den Videoclip auf seinen Computer oder sein Handy ohne ihn auf die Festplatte zu kopieren. Angefangen hat Streaming mit Internet Radios, die ihren Zuhörern die Möglichkeiten boten Listen ihrer Lieblingssongs zu erstellen. Daraus hat sich in den letzten zwei Jahren ein rasant wachsendes Geschäftsmodell mit immer größerem Musikangebot entwickelt.
Um die 40 Millionen Titel sind jeweils auf den Servern der Streamingfirmen verfügbar, weltweit abrufbar, spottbillig oder sogar umsonst. Spotify, Apple Music, Deezer, Tidal, oder Soundcloud heißen die bekanntesten Streamingdienste. Bei einigen Anbietern kann man zwischen einem Abonnenment, meist 9,99 €, und werbefinanziertem umsonst Hören wählen.
Marktführer mit großem Abstand ist Spotify mit 80 Mio Usern, davon 28 Mio zahlende Abonnenten und 52 Millionen umsonst Nutzern. Apple Music, das den werbefinanzierten Umsonstservice nicht bietet, zählt im Feburar 2016 11 Mio zahlende Nutzer. Sogar Aldi stieg im Herbst des letzten Jahres als neuer Anbieter ins Rennen ein. Aldi übernimmt dabei das bestehende Angebot von Napster in Deutschland und bietet hier Millionen von Titeln für 7,99 € im Monat an. Einige Streamingfirmen bieten ausserdem „Premium-Abos“ in höherer Audioqualität an.
Die Musikindustrie jubelt
Fragt man die Tonträgerbranche, so ist Streaming Rettung und Zukunft zugleich. Und in der Tat, im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres stieg der Gesamtumsatz des deutschen Musikmarktes um 4,4 Prozent auf 686 Millionen Euro. Das Streming alleine wuchs um mehr als 87 Prozent. Im Gesamtmarkt in Deutschland erhöhte sich der Streaminganteil von 7,7 im ersten Halbjahr des Vorjahres auf 12,8 Prozent. Wie berichtet, wurde der Sprecher des BVMI (Bundesverband Musikindustrie) Florian Drücke mit den Worten zitiert: "Das Geschäft macht wieder Spass"
In krassem Kontrast dazu stehen die weltweiten Meldungen von Künstlern und Urhebern, die über empörende Mini-Zahlungen berichten. Künstler mit "Marktmacht", wie Adele, verzichten sogar ganz auf das Streaming oder veröffentlichen ihre Alben erst mit deutlicher Verspätung, so geschehen bei Coldplay und Taylor Swift. Auch die hiesigen Künstler berichten von Abrechnungen, an deren Ende trotz bekannter Werke und ausgiebiger Nutzung lediglich zweistellige Beträge stehen. Noch mehr Grund zur Klage haben die Urheber, bei denen vom Streaming nur Cent Beträge ankommen. Was ist da los?
Diskrepanz zwischen den Urheber- und Künstleranteilen
70 − 75 % ihrer Einnahmen zahlen die Streamingunternehmen nach eigenen Angaben an die Rechteinhaber aus. Das Meiste davon geht allerdings an die Labels und die Künstler, die direkte Verträge mit Spotify und co. haben. Die Urheber, Komponisten, Textdichter und Verleger der Werke erhalten dagegen nur einen geringen Anteil. Das Verhältnis liegt im Bereich 1 zu 8, also bei einem Prozentsatz von nur 10 − 12 % für die Urheber und um die 90% für die Leistungsschutzberechtigten.
Dafür gibt es einen einfachen Grund: Die Streamingfirmen haben erst mal Fakten geschaffen. Sie haben zuerst mit den großen Tonträgerfirmen über die Nutzung und LIzenzierung ihres Repertoires verhandelt, und als sie die Verträge unter Dach und Fach hatten, sind sie mit diesem Repertoire auf die Märkte gegangen. Die Verwertungsgesellschaften wurden erst gar nicht oder später gefragt. Wusste man um den Kontrahierungszwang der Verwertungsgesellschaften? Jedenfalls, GEMA und co. konnten ihre Ansprüche zum Teil erst deutlich nach dem Markteintritt anmelden und mussten nachverhandeln. Zu diesem Zeitpunkt war der "Kuchen fast schon geteilt".
Apple Music, als späterer Markteinsteiger, hat zwar, wie schon bei der Gründung von iTunes, Verhandlungen in allen Ländern auch mit den VGs geführt, aber nachdem die anderen Streamer Fakten geschaffen hatten, gab es für die Urheber nicht mehr viel Spielraum: Apple zahlt momentan 72% Lizenzen an die Rechteinhaber. Davon gehen lediglich 17% an die Urheber und 55% an die leistungsschutzberechtigten Künstler und Labels. Das ist allerdings auch schon der Urheber freundlichste Split beim Streaming.
Ein solches Verhältnis zwischen Autoren- und Leistungsschutzrechten ist in Europa und besonders in Deutschland nicht üblich, und könnte in Zukunft zu juristischen Auseinandersetzungen führen. Hier bei uns geht man bei der Aufteilung zwischen Autoren- und Leistungsschutzrechten von mindestens 50% für die Autoren aus. Meist bekommen die Autoren mehr als die aufführenden Künstler. Um ein Beispiel zu nennen: Gerade im letzten November hat das Oberlandesgericht München festgestellt, dass bei Musik auf Veranstaltungen die GVL nur maximal ein Fünftel der Autorenanteile der GEMA fordern darf.2
Ob hier die Verwertungsgesellschaften der Autoren in Europa ansetzen können um den Anteil der Urheber beim Streaming zu steigern, wird sich zeigen. Klar ist allerdings, dass eine Situation entstanden ist, in der sich dann Autoren und Künstler, bzw. ihre Labels streiten, während sich die Streamingunternehmen zurücklehnen können.
Streaminganbeiter zahlten und zahlen Vorschüsse an Labels
Aber auch bei den Leistungsschutzberechtigten, also den Künstlern und Produzenten, die Verträge mit Labels haben, kommen aus dem Streaming empörend geringe Summen an. Woran liegt das?
Im Frühjahr 2015 gab es einen Leak des Vertrages zwischen Spotify und Sony. Die Tonträgerunternehmen und Streaminganbieter sind normalerweise bemüht solche Verträge geheim zu halten. In diesem Fall, wie sich nach dem Leak herausstellte, aus gutem Grund. Um das Sony Repertoire streamen zu dürfen, hatte Spotify einen Vorschuss in Höhe von 42,5 Millionen Dollar an Sony gezahlt.
Nun sind Vorschüsse in der Musikindustrie üblich und in der Regel verrechenbar mit Lizenzen. Dieser Vorschuss aber, genauso wie später folgende, wurde nicht an die Künstler weiter gegeben, auch wenn Sony sich schnell bemühte das Gegenteil zu behaupten. Es wusste bis zu dem Leak des Vertrages ja auch niemand von dieser sogenannten „lump sum“ Zahlung, wie sie in der Branche heisst.
Es gilt als sicher, dass Spotify ähnliche Verträge mit den Plattenfirmen Universal und Warner, den beiden anderen Major Labels, hat. Auch hier kam bei den „Label eigenen“ Künstlern nichts von den Vorauszahlungen an. Ausserdem darf vermutet werden, dass später weitere und deutlich höhere "lumps sums" an die Labels geflossen sind, denn der geleakte Vertrag stammt aus dem Jahr 2011.
Wenn man diesen (jetzt nicht mehr) geheimen Vertrag durchliest, wird schnell klar, dass Sony dem Streaming Neuling Spotify im Jahre 2011 die Bedingungen fast diktiert hat. Natürlich hat das Label Sony ein großes Weltrepertoire, aber man fragt sich, wie so etwas möglich ist, wo doch Sony, genau wie die anderen Tontäger - Majors Streaming schon damals offen als die Zukunft propagiert hat und natürlich brennend daran interessiert sein musste an dieser Zukunft teilzunehmen.
Um das zu verstehen hilft sicher die Information, dass Sony und Universal längst Anteile an Spotify gekauft hatten. Diese betragen in manchen Ländern über 50%. Merke: Verhandlungen laufen besser, wenn man an beiden Seiten des Tisches sitzt.
Von sich aus ist Streaming nicht überlebensfähig
Eins haben nämlich alle Streamingdienste zumindest im Moment noch gemeinsam: Sie schreiben rote Zahlen und brauchen immer wieder "frisches Geld". Dies kommt, wie eben beschrieben, zum Teil von den Major Labels, genauer gesagt von ihren Eigentümern, wie zum Beispiel vom Konzern Vivendi, dem Universal gehört. Gerade vor ein paar Tagen verkündete Deezer CEO Hans-Holger Albrecht mit gorßer Freude eine neue Finanzspritze in Höhe von 100 Millionen Dollar. Aber auch die anderen Streamingservices sind immer noch auf das Sammeln von Geld angewiesen.
In den letzten zwei Jahren sind die beiden Unternehmen Simfy und Rdio vom „Markt“ verschwunden und in Konkurs gegangen. Das „Geschäft Streaming“ würde also ohne diese grundlegenden finanziellen Investitionen nicht funktionieren, und der Konkurrenzdruck ist hoch. Kein Wunder, dass an der schwächsten Stelle, also bei den Künstlern und Urhebern, gespart wird.
Könnte es sein, dass man sich verspricht in Zukunft auf diese Weise Musik zwar irgendwann profitabel zu verkaufen, aber vor allem deswegen, weil man die lästigen Rechteinhaber, also Künstler und Musikproduzenten nicht mehr oder um den Faktor 100 weniger beteiligen muss? Die eigenen Künstler wohlgemerkt, nicht die Konkurrenz.
Intransparente und unfaire Abrechnungen der Labels
Aber das ist noch nicht alles. Wie der Autor aus eigener Erfahrung zwei Mal im Jahr erlebt, sind die Streaming Abrechnungen der Labels an ihre Künstler und Produzenten lang und minimal. Da stehen ganz viele 0,01 € und 0,03 € Beträge und am Ende eine Summe im unteren zweistelligen Bereich. Wir reden dabei über die Abrechnung einer beachtlichen Anzahl von Titeln und Alben durchaus bekannter Künstler. Aber wo bleibt denn nun das Geld, wenn man mal annimmt, dass die Streamingunternehmen wirklich ca. 70% ihrer Einnahmen an die Plattenfirmen weitergeben?
Die Antwort ist einfach und lautet: Die Labels rechnen die Streamingeinahmen an die Künstler nach den gleichen Bedingungen wie CD Verkäufe ab. Da steht zum Beispiel in den Künstler- und Produzentenverträgen, dass bei Auslandsverkäufen nur 50% der Lizenzen zu zahlen sind. Gut, bei CDs und länderspezifischen Märkten macht das Sinn, denn jedes Land macht seine eigenen Pressungen, sein Marketing und seine Promotion. Aber bei Streaming...? „Machen wir trotzdem so“, sagen die Major Labels, Spotify ist in Schweden, und daher sind die Streamingeinkünfte Auslandsverkäufe.
Aber es geht noch absurder. Auch die in den Verträgen stehenden Verpackungs- oder Taschenabzüge, meist 20 −25% werden beim Streaming den Künstlern und Produzenten abgezogen, und, weil es auch so im Vertrag steht, machen manche Labels auch noch 10 −15% Retourenrückstellung ...beim digitalen ex- und vorbei Erlebnis Streaming. Offizielle Auskünfte aus den Rechtsabteilungen der Major Labels bekommt man dazu nicht. Auch manchem Justiziar der Majors ist bei solchen Verhältnissen nicht ganz wohl.
Streaming Sonderfall YouTube
Aber zurück zu uns Urhebern: Es geht noch "krasser": YouTube, der mit Abstand größte "Streamer" von Musik, auch wenn sie mit kleinen Videoclips verbunden ist, zahlt in Deutschland gar nicht an Urheber. YouTube sieht sich nämlich nicht als Anbieter von Streamingangeboten, sondern nur als Provider, als Bereitsteller der Online-Platform. Die rechtliche Verantwortung lagert YouTube einfach auf die Uploader aus. Das hindert die Google Tochter aber nicht, zu diesen Inhalten Werbung zu schalten und einen Umsatz von 6 Milliarden Dollar (2014) zu erwirtschaften. Das ist eigentlich nichts Anderes, als das werbefinanzierte Angebot der Konkurrenz.
Mit den großen Labels hat YouTube Verträge, aber die Beteiligungen, die YouTube aus den Werbeerlösen für die Leistungsschutzrechte an die Plattenfirmen weitergibt, liegen bei 15 – 20 %. Davon können die anderen Streamingfirmen nur träumen. Eigentlich eine nicht zulässige Wettbewerbsverzerrung, die auch allgemein dafür sorgt, dass das Streaming Geschäft nicht profitabel ist.
Im Vergleich zu den legalen Anbietern von Streaminginhalten, wie Spotify ist Youtube mit 4 Milliarden Klicks pro Tag ein Riese. Was nun davon zu halten ist, dass YouTube sich nominal dabei immer noch in die Verlustzone rechnet, also angeblich keinen Gewinn macht, an der Börse aber viele Milliarden Dollar wert ist, ist für Menschen die sich aufrichtig mit Kunst und Kreativität beschäftigen, schwer zu verstehen.
Also, keine guten Nachrichten für Urheber und Künstler vom neuen „Zukunftsmedium der Musik“ Streaming. Während die Tonträgerbranche durchaus moderaten Grund hat sich endlich wieder über steigende Umsätze zu freuen, kommt von dem Geld wenig oder nichts bei den Künstlern und ihren Produzenten an. Am wenigsten haben die Komponisten, Textdichter und Verleger, also wir Urheber, vom Streaming. Es stellt sich die Frage, wie lange wir uns das gefallen lassen wollen.
1. Zahlen zum Streaming
Prozentuale Anteile am Tonträgermarkt 2014
CDs 66,4%,
Vinyl 2,6%,
Download 16,9%,
Streaming 8,2%,
Sonstige (DVD, BluRay...)
5,9% Spotify - 80 Mio Nutzer - 28 Mio Abo 9,99 € / 52 Mio werbefinanziert (schwedischer Anbieter)
Tidal 3 - Mio Nutzer - nur Abo 9,99 € (höhere Qualität für 19,99 €, Spezialist für HipHop)
Deezer - 16 Mio Nutzer - 7 Mio Abo 9,99 € / 9 Mio werbefinanziert (französischer Anbieter)
Aldi (Napster) - Nutzerzahlen noch nicht bekannt - nur Abo 7,99 € - 34 Mio Titel
Apple Music - 11 Mio Nutzer - nur Abo 9,99 € - 17% an Urheber
Soundcloud - 40 Mio Registrierte Nutzer – umsonst / zahlt keine Lizenzen (in Berlin ansässig)
http://www.imusiciandigital.com/de/blog/ein-paar-grundlegende-gedanken-zum-sony-spotify-leak/
Micki Meuser ist Filmkomponist, Songwriter, Musikproduzent und im Vorstand des DKVs.
Als Produzent von Alben mit Die Ärzte, Silly, Ina Deter, Ideal, Rodgau Monotones, aber auch aktuellen Künstlern und als Komponist hat er mit beiden Seiten (Autoren- und Leistungsschutzrechten) der Vergütungen aus dem Streaming zu tun.